Besondere Lebensgemeinschaften sind keine Ausnahme mehr. Viele Menschen – ob jung oder alt- wollen nicht in der klassischen Kleinfamilie leben, sondern suchen nach anderen Wohnformen in der Gemeinschaft. Eine dieser außergewöhnlichen Lebensgemeinschaften – nahezu vor unserer Haustüre – ist Schloss Tempelhof zwischen Crailsheim und Feuchtwangen. Hier hat sich eine Handvoll Idealisten Anfang 2010 ihren Traum vom nachhaltigen Leben in der Gemeinschaft realisiert, indem sie sich kurzerhand ein verlassenes Dorf mit Schloss gekauft haben. „Wir haben einfach mal gegoogelt: „Dorf kaufen“ und sind dann bei Schloss Tempelhof gelandet. Ein Schloss aus dem 17. Jahrhundert mit Wirtschaftsgebäuden“, lacht Agnes Schuster, die Frau der ersten Stunde, die in ihrer Vergangenheit bereits zahlreiche Wohnprojekte realisiert hat. Sie erinnert sich: „Wir hatten uns natürlich bereits im Vorfeld sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie wir so etwas umsetzen könnten, bevor wir uns im Februar 2010 einen Bus für 25 Personen mieteten, um von München ins Hohenlohsche zu fahren. Als wir dort bei Eis und Schnee in dem seit Jahren unbewohnten Dorf Tempelhof angekommen waren, hatte ich anfangs ich echt Bauchschmerzen, da unglaublich viel zu tun war. Aber dadurch, dass wir alle eine Vision hatten, konnten wir innerhalb kurzer Zeit unglaublich viel auf die Beine stellen. Zu unserer ersten Infoveranstaltung sind immerhin über 200 Interessierte angereist, alleine durch unsere E-Mail-Verteiler“, so Agnes weiter, die erwähnt,  dass viele Menschen sich danach sehnen in einer Gemeinschaft, ähnlich der Dorfgemeinschaft von früher zu leben. „Daher stößt unsere Dorfgemeinschaft auf großes Interesse bei Jung und Alt.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch wenn das Interesse groß ist, so muss jeder,  der aufgenommen werden möchte, eine einjährige Annäherungsphase durchlaufen. Letztendlich entscheidet die Gemeinschaft einstimmig darüber, ob der- oder diejenige in die Gemeinschaft passt. „Uns ist es ganz wichtig, dass jeder gehört wird und jeder mitentscheiden kann. Das ist zwar bei der Entscheidungsfindung sehr aufwendig, zahlt sich allerdings letztendlich aus, wenn alle mit der Entscheidung gut leben können und zufrieden damit sind.  Diese Feinheit im Umgang miteinander schätze ich sehr und ist unser größtes Gut.“ Geistige, politische oder religiöse Dogmen gibt es nicht. Vielfalt wird nicht nur toleriert, sondern gewünscht. 

Dass hier eine große Zufriedenheit herrscht, wird sofort beim Gang über das über 30 ha große Gelände klar. Überall herrscht reges Treiben- sei es auf den Feldern, die selbstverständlich biologisch in solidarischer Landwirtschaft bewirtschaftet werden und dafür sorgen, dass sich die Gemeinschaft zu nahezu 90% selbst versorgen kann. Oder etwa im Speisesaal, in dem Menschen aller Altersgruppen zusammen sitzen und das gesunde Mittagessen, das in der Regel vegetarisch oder vegan zubereitet wird, schmecken lassen. „Man kann hier zusammen essen, muss aber nicht!“ Auch das gehört zu einem der Pfeiler der Gemeinschaft: Man ist eingebunden in eine Gemeinschaft, kann sich jedoch in ihr frei entfalten und entscheiden. 

Ein junge Frau mit einem Kind im Tuch und einem weiterem an der Hand spaziert über die Wiese, ein Mann mittleren Alters macht sich an einer Säge zu schaffen, drei Mädels radeln lachend Richtung Stall. Allen gemein ist der heitere, freundliche Ausdruck im Gesicht. Zudem wird man sofort gegrüßt. Denn das ist eine weitere Besonderheit in Schloss Tempelhof: Man ist offen gegenüber anderen und schottete sich nicht nach außen ab. Daher werden zum einen immer wieder die Bewohner der Nachbargemeinden zu Veranstaltungen eingeladen und zum anderen finden zahlreiche Seminare statt, die von außerhalb rege genutzt werden. „Wir wollen Schloss Tempelhof bewusst nach außen öffnen und helfen auch gerne mit, dass immer mehr Projekte, Initiativen und Dörfer entstehen können, die Vielfalt, Nachhaltigkeit, ein freiheitliches Leben und eine Ökonomie des Gemeinwohls in ihrer Vision tragen – und dabei den Menschen und die authentische Begegnung von Menschen in den Mittelpunkt stellen“, sagt die Mitbegründerin weiter.

Nicht nur wegen der Seminare pilgern zahlreiche Menschen von Nah und Fern in das idyllisch gelegene Tempelhof inmitten weiter Wiesenflächen am Waldrand. Hier befindet sich außerdem das einzige Earthship Deutschlands, das im Jahr 2015 als Dorf im Dorf entstanden ist und das bei regelmäßigen Führungen besichtigt werden kann. Das passiv-solar klimatisiertes Gebäude ist Teil eines Gesamtwohnkomplexes mit Jurten und Bauwagen und dient den Bewohnern und Bewohnerinnen der Jurten und Bauwagen als Gemeinschaftsraum mit Küche, sanitären Anlagen und Esszimmer mit vorgelagertem Wintergarten, in dem ganzjährig exotische Pflanzen gedeihen. Das Earthship, das aus gebrauchtem und lokal verfügbaremMaterial wie Holz, Autoreifen, Flaschen, Glas und Erde hergestellt wurde, kann seine gesamte elektrische Energie durch Photovoltaik erzeugen. Der Strom wird in Batterien gespeichert und weiter verteilt. 

„Nach einem Jahr der Planung, arbeiteten dann 60 Helfer aus 17 Nationen an diesem Bau. Tagsüber wurde mit viel Begeisterung gearbeitet und abends  mit der gleichen Begeisterung gefeiert“, erzählt Agnes lachend, die nicht nur auf das Earthship stolz ist, sondern auch auf die Schule für freie Entfaltung. Hier werden seit 2013 neben den Kindern der Tempelhofbewohner auch Kinder von den umliegenden Dörfern unterrichtet. 

 

“Auf was wir sehr viel Wert legen ist, dass wir sehr achtsam miteinander umgehen und jeden in seiner Persönlichkeit achten und schätzen. Wir hören zu, lassen den anderen ausreden und schenken den anderen unsere ganze Aufmerksamkeit. Diese Haltung fließt vor allem auch in unserer Schule der freien Entfaltung ein, was man unschwer am Namen erkennen kann“, so Eika Bindgen. Die aus Norddeutschland stammende Heilpraktikerin hatte mit viel Engagement Lehramt studiert und musste bereits kurze Zeit nach Beendigung ihres Studiums erkennen, dass die Form des Unterrichtens an den staatlichen Schulen nicht ihren  Vorstellungen entsprach. „Mit dem Eintrichtern von Wissen nach ehemals preußischer Manier kam ich überhaupt nicht klar, daher sattelte ich um auf Heilpraktikerin“, so die Heilpraktikerin und  Pädagogin, die über Jahre hinweg regelmäßig von Norddeutschland nach Hohenlohe in die Gemeinschaft fuhr und schließlich ganz umzog. „Ich lebe mittlerweile in einer Wohngemeinschaft mit mehreren Frauen und fühle mich absolut wohl“, freut sich Eika, die ursprünglich ihr Wissen als Heilpraktikerin in die Gemeinschaft einfließen lassen wollte, dann aber mit ihrer Erfahrung als Pädagogin den Aufbau der Schule voran- gebracht hat. „Bei der Erarbeitung unseres Schulkonzeptes standen uns mehrere PädagogInnen, die bereits freie Schulen gegründet haben sowie Juristen, die Erfahrung im Umgang mit Behörden haben, zur Seite“, so Eika, die als Vorstand im Trägerverein und Geschäftsführerin der Schule erste Ansprechpartnerin für alle Bewerbungen von neuen Schülern und Lernbegleitern ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Bei unserem Schulkonzept gehen wir davon aus, dass jedes Kind von sich heraus aus lernen möchte. Wir sorgen für eine anregende Umgebung, in der die Kinder ihre kreativen Potentiale entfalten können, sich Wissen und Können aneignen und zu einer eigenständigen, sozial kompetenten und verantwortungsbewussten Persönlichkeit heranreifen. Die Kinder finden nicht nur in den eigentlichen Schulräumen eine Fülle von Lernimpulsen, sondern im ganzen Dorf ein reichhaltiges Angebot verschiedenster Lernorte. Wir verfügen über eine Landwirtschaft, Gärtnerei, Bäckerei, Gemeinschaftsküche, Dorfladen, Handwerksbetriebe (Nähwerkstatt, Schreinerei, Metallwerkstatt), Künstlerateliers, Musiker, IT-Betriebe, Grafikbüro, Verwaltung, Seminar- und Gästebetrieb, haben Erwachsene mit unterschiedlichsten Berufen und verschiedenen Muttersprachen und organisieren uns mit demokratischen Konsensverfahren – und all dies steht den Kindern und Jugendlichen der Schule als dezentrale Lernorte und zur Lernbegleitung zur Verfügung“ so Eika weiter, die bei ihrem Rundgang durch die Schule mit großer Begeisterung die einzelnen Werkstätten und Räume zeigt und glücklich darüber ist, dass sie jetzt bei der Verwirklichung ihres Traumes einer freien Schule mitwirken kann. Und auch Agnes blickt mit Stolz auf das, was sie in den letzten Jahren gemeinsam auf die Beine gestellt haben. „Der wirkliche Wohlstand ist der soziale und nicht der finanzielle“, so die Mitbegründerin, die betont, dass jeglicher Profitgedanke mit der Rechtsform der Stiftung ausgeschlossen ist. „Wir sind keine Arbeitgeber und keine Vermieter, es gehört uns allen und wir kreieren es selbst!“

Infos: Schloss Tempelhof e.V., Tempelhof 3, 74594 Kreßberg,  Tel. 07957/ 9239-030