Fast jede Schwangere achtet heute darauf, was sie zu sich nimmt. Viele essen „Bio“, trinken kaum Kaffee und Schwarztee, streichen Alkohol und Zigaretten. Fast  jede geht pünktlich zu den U-Kontrollen. Dies alles ist richtig und gut so. Aber Stress, dem sie sich selbst, dem ungeborenen Kind oder später dem Kleinkind aussetzen, wird weniger beachtet. Sich selbst schenken sie wenigstens noch manchmal Beachtung, aber das Kind hat ja später „alles vergessen“. Aber das ist eine ganz gefährliche, falsche Meinung. Das Baby, das Kleinkind vergisst nichts, es behält alles in seinem emotionalen Gedächtnis. Es wird es später nicht in Worte fassen können oder sich aktiv daran erinnern können. Aber es wird bei jeder vermeintlich ähnlichen Situation wieder wie das damalige Kleinkind fühlen und reagieren, ohne dass ihm die  Zusammenhänge je bewusst werden. 

Ich muss bei diesem Thema an eine ganz typische Situation einer Patientin denken. Rita S., Mitte sechzig, hatte mich aufgesucht, weil sie von immer wiederkehrenden Angst- und Panikattacken heimgesucht wurde. Nebenbei erwähnte sie auch ihren Heuschnupfen. 

Ich arbeitete mit ihr ihren gesamten frühkindlichen Lebenslauf durch und es zeigte sich, dass sie wiederholt von ihren Eltern in verschiedenen Situationen, wie langer Schulweg in der ersten Klasse, Aufräumen, Abwasch und ähnlichem  allein gelassen bzw. mit Sprüchen wie „Das wirst Du ja wohl alleine schaffen“ oder „Ich hab das in Deinem Alter auch alleine machen müssen“, in frühester Kindheit überfordert worden war. Ihre Eltern waren  stark in ihrem kleinen Lebensmittelladen eingespannt. Sie musste schon früh helfen und auch sonst Aufgaben in einem Alter übernehmen, für die sie einfach noch zu klein und zu schutzbedürftig war. 

Wir konnten über Hypnose die Angst- und Panikattacken deutlich mindern, aber sie waren trotzdem noch da, genauso wie der Heuschnupfen. Ganz beiläufig erzählte sie mir eines Tages, dass ihre Eltern immer für sie da waren und sie sogar als Baby schon in der hinteren Ladenstube im Korb dabei hatten. Man hatte sie dort wohl gefüttert und gewickelt, abgestellt, die Türe wegen der Kundschaft zugemacht und dann gearbeitet und alle drei bis vier Stunden nach ihr geschaut. Bei mir klingelten sämtliche inneren Alarmglocken. Ich fragte sie: „Und was war, wenn Sie aufwachten und weinten und niemand war da?“  Ja, das konnten die Eltern nicht hören, die Tür war ja zu und im Laden war es auch oft relativ laut. „Aber sie haben doch immer wieder nach mir geschaut und mich immer „ungefähr“ alle vier Stunden gefüttert und gewickelt. Ich war doch gut versorgt?!“ Ich bezweifelte das. Natürlich, das Baby war trocken und satt, aber es war auch hilflos und allein. 

Ich wollte mir das einmal genauer unter Hypnose anschauen. Rita S. war einverstanden und ich führte sie unter Hypnose in diese Zeit zurück…. und sie tauchte plötzlich in ihre damaligen Gefühle ein. Die kamen mit aller Macht; sie spürte die Angst, die Panik, die Hilflosigkeit, das Allein-gelassen-sein, den hungrigen Bauch, wenn sie nicht pünktlich aufwachte und die Mutter („wir haben dich schlafen lassen“) nicht mehr da war. Sie weinte und weinte, niemand kam….. Sie schlief wieder vor Erschöpfung mit heißem Köpfchen, zugeschwollenem Hals, zu wenig Luft und brennenden Augen ein und wenn sie ein, zwei Stunden später aufwachte war wieder niemand da. Irgendwann hatte das kleine Mädchen keine Tränen mehr, keine Kraft mehr und resigniert, weinen hilft auch nicht, ich bin und bleibe allein, verlassen mit meiner Angst. 

Sie galt bei ihren Eltern und Verwandten später als ausgesprochen brav und fügsam. Alle waren sehr angetan von diesem folgsamen, stillen, kleinen Mädchen.

Eine dieser späteren Überforderungssituationen suggerierte ihrem Unterbewusstsein: „Siehst du, wie damals, nichts und niemand erkennt deine Not, dein Augenbrennen, deinen geschwollenen Hals, dein schmerzendes Köpfchen, deine Nase läuft, alles wie damals…“. Der Heuschnupfen war geboren, zusammen mit Angst- und Panikattacken. Und wieder reagierte ihr Umfeld gar nicht oder mit Unverständnis.

Noch in dieser Hypnose ließ ich sie selbst das kleine Ich aus dem Korb nehmen, Zuspruch geben, füttern, lieb haben, eben alles das, was es damals so schmerzlich vermisst hatte.

Dieses „Positivprogramm“ ließ ich sie immer und immer wieder erleben und zeigte ihr, dass ihr erwachsenes Ich ständig und immer bei ihr ist und beide zusammen stärker und überlegener, wie die restlichen Menschen um sie herum, sind. So baute sie allmählich ein Selbstbewusstsein auf, begann sich auf sich selbst zu verlassen, fühlte das erste Mal Stärke in sich. In zwei weiteren Hypnosen führte ich wiederholt dieses „Positivprogramm“ mit ihr durch und stärkte sie somit weiter und weiter. Heute fühlt sie nur noch selten das Anfluten von Angst- und Panikattacken und kann ihnen selbstbewusst zusammen mit ihrem eigenen Erwachsenen-Ich entgegentreten. Der Heuschnupfen ist inzwischen ganz zurückgegangen.

Diese Begebenheit zeigt einmal mehr, wie sehr Erlebnisse der ersten Jahre unser heutiges Empfinden und Verhalten steuern, ohne dass wir es selbst erkennen und beeinflussen können.

Ein Beitrag von Heidemarie Steinegger, Olfen, Wolfsdelle 4, 64760 Oberzent, Tel. 060687598716

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